Besuch
Die alte Frau sitzt tagelang am Fenster
und hält ein Taschentuch, zu träg,
hinaus in eine Welt zu winken,
die sie nicht mehr betritt. Das Draußen
ist ein Fernsehbild. Wie es mir glückt,
von dort ihr Zimmer zu betreten,
bleibt ihr ein Rätsel,
sie fragt mich nicht danach,
sagt nur: Es gibt so vieles,
das ich nicht versteh,
ach Mädchen, weißt,
die Klügste bin ich eben nicht.
Und hinter ihrem Schatten klafft
die Wohnung,
die zu große Schale einer Muschel, vergraben
in dem Zeitschlick, der nicht mehr zur Stadt gehört.
Es begann damit, dass sie verzwergte
Jahr um Jahr, nicht mehr zu finden
Ihr mondäner Gang, ihr Blinzeln,
als brenne ihr verrauchte Luft
eines Kasinos in den Augen.
Vielleicht, sagt sie und irgendwann
und will nicht weg von ihrem Fenster,
sie ist so dünn geworden,
dass sie keinen Tag mehr spürt.
Ach Mädchen, sagt sie,
weißt, wir ham ja Zeit.
Nora Bossong (Bremen, Alemania, 1982). Poeta y novelista.