Hermann Hesse

Frühling in Locarno

Wipfel wehn in dunklem Feuer,
Im vertrauensvollen Blau
Zeigt sich kindlicher und neuer
Alles aufgetan zur Schau.
Alte oftbegangne Stufen
Schmeicheln klug den Berg hinan,
Von verbrannter Mauer rufen
Frühste Blumen zart mich an.
Bergbach wühlt in grünen Kressen,
Felsen tropft und Sonne leckt,
Sieht mich willig zu vergessen,
Daß die Fremde bitter schmeckt.


Gute Stunde

Erdbeeren glühn im Garten,
ihr Duft ist süß und voll,
mir ist ,ich müsse warten,
dass durch den grünen Garten
bald meine Mutter kommen soll.
Mir ist,ich bin ein Knabe,
und alles war geträumt,
was ich vertan,versäumt,
verspielz,verlohren habe.
Noch liegt im Gartenfrieden
die reiche Welt vor mir,
ist alles mir beschieden,
gehöret alles mir.
Benommen blieb ich stehen
und wage keinen Schritt,
dass nicht die Düfte verwehen
und meine guten Stunde mit.


Weiße Wolken

O schau, sie schweben wieder
Wie leise Melodien
Vergessener schöner Lieder
Am blauen Himmel hin!
Kein Herz kann sie verstehen,
Dem nicht auf langer Fahrt
Ein Wissen von allen Wehen
Und Freuden des Wanderns ward.
Ich liebe die Weißen, Losen
Wie Sonne, Meer und Wind,
Weil sie der Heimatlosen
Schwestern und Engel sind.


Hermann Karl Hesse (Calw, Baden-Wurtemberg, Alemania, 1877 – Montagnola, Cantón del Tesino, Suiza, 1962). Novelista, poeta y pintor. Doctor honoris causa por la Universidad de Berna. Premio Nobel de Literatura en 1946.